Jan Böhmermann hat keine Ahnung. Oder: Warum man auch mit „Was Gutes tun“ Geld verdienen darf (und sollte).
Vor kurzem erreichte uns eine ziemlich wütende Mail. Eine junge Frau hatte sich als Freiwillige über vostel.de für einen gemeinnützigen Zweck engagiert. Mit ihrer Arbeit und dem Verlauf des Tages war sie soweit zufrieden. Problematisch wurde die Sache aber, als unsere Freiwillige mitbekam, dass sich die Initiative, für die sie ehrenamtlich arbeitete, mit ihrer Dienstleistung (Catering aus geretteten Lebensmitteln verkaufen) eine halbe hauptamtliche Stelle finanziert. Für die Rettung der Lebensmittel, die Herstellung des Caterings, den Kundenkontakt und alle weiteren organisatorischen und ausführenden Aufgaben benötigt der Verein jedoch auch etliche Ehrenamtliche. Dass die Freiwillige ihre Zeit ehrenamtlich investierte, während die Arbeit aller im Verein Engagierten den (halben) Lebensunterhalt eines Hauptamtlichen finanziert, fand sie unmöglich.
Der Grund hierfür war einer, der in letzter Zeit häufiger zu hören war: Mit „Was Gutes tun“ darf man kein Geld verdienen. Wir finden: Stimmt nicht. Ganz im Gegenteil – wir sind große Fans von Sozialunternehmertum. Unter Sozialunternehmertum oder auch Social Entrepreneurship versteht man die Arbeit an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen mithilfe unternehmerischer Mittel, wobei die gesellschaftliche Wirkung immer das primäre Ziel ist.
Social Entrepreneurship – die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen mithilfe unternehmerischer Mittel
Mehrere Beispiele in letzter Zeit haben gezeigt, dass es gesellschaftlich immer noch eine große Ablehnung gegenüber der Verbindung von Geld und gemeinnützigen Zwecken gibt. So wetterte erst kürzlich Jan Böhmermann auf Twitter gegen die „superwoken Startups“, die sich nicht ohne „Gewinnmaximierungsantrieb“ engagieren wollen. Gemeint waren damit Social Businesses, die mit Dienstleistungen und Produkten, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen, Geld verdienen. Die Attacke galt vorrangig dem Demokratievent 12062020olympia, das vom Berliner Sozialunternehmen Einhorn mitinitiiert wird. Dass auch die klassische Wirtschaft noch häufig eine klare Linie zwischen Unternehmen und “Gutes Tun” zieht, zeigte die Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ vor ein paar Monaten. Hier wurden die Gründer der Supermarktkette für gerettete Lebensmittel SirPlus von der Jury unter anderem als „obergierige Kapitalisten“ und ihre soziale Mission als „moralisierendes Schöngerede“ und „Heuchelei“ bezeichnet. Und auch im Echo auf Twitter wurde deutlich, dass die meisten Menschen Profitabilität und “Weltverbessern” noch nicht zusammendenken (können).
Es ist nicht so, als könnten wir die Skepsis nicht nachvollziehen. Trotzdem wollen wir gerne mit euch teilen, wieso wir glauben, dass ein großer Teil der Kritik an Social Entrepreneurship nicht gerechtfertigt ist und weshalb es Zeit dafür ist, Profit und Impact zusammenzudenken.
Es ist Zeit dafür Profit und Impact zusammenzudenken!
Es stimmt, die letzten Jahrzehnte standen besonders große Unternehmen nicht unbedingt für die Verbesserung von sozialen und ökologischen Bedingungen. Im Gegenteil – ziemlich viele der Probleme, die uns heute beschäftigen, haben diese Unternehmen maßgeblich mit zu verantworten, allen voran die Umweltverschmutzung und den Klimawandel. Umso mehr freuen wir uns, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Sozialunternehmen gegründet und 2017 unter dem Dach des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. zusammengefunden haben.
Auch wir sind eines dieser Sozialunternehmen und tragen mit unserer Arbeit dazu bei, dass sich Menschen über ein gemeinnütziges Engagement in die Gesellschaft einbringen können. Das Prinzip ist dabei recht simpel: Über vostel.de suchen soziale Organisationen nach Unterstützung und über ein attraktives User Interface und ein smartes System findet jede*r leicht ein passendes ehrenamtliches Projekt für sich. Weder Privatpersonen noch Non-Profit-Organisationen müssen für diesen Service bezahlen und das wird auch so bleiben.
Wenn unsere Arbeit nicht unser Leben finanziert, können wir sie nicht verrichten
Wir, so wie viele andere Menschen, die sich beruflich mit gesellschaftlichen Herausforderungen beschäftigen können unserer Arbeit nur nachgehen, wenn diese auch unsere Leben finanziert. Dass sie uns ein Dach über dem Kopf und ein Essen auf dem Tisch bezahlt, macht es möglich, dass wir uns unseren Themen widmen können, ohne dabei permanent von Existenzängsten begleitet zu werden.
Als wir vostel.de gegründet haben, wurde uns vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit verweigert, da wir selbst nicht der gute Zweck sondern eben nur Vermittler für den guten Zweck sind. So standen wir zunächst ohne Geld und Finanzierungsideen da – denn ohne die Gemeinnützigkeit in der Rechtsform ist es derzeit fast unmöglich, an Fördergelder zu gelangen. Zum Glück hat sich unser Geschäftsmodell mit der Anfrage eines Unternehmens von fast alleine ergeben und so finanzieren wir uns seit 2015 dadurch, dass wir Unternehmen kostenpflichtig bei der Organisation und Durchführung ihrer Corporate Volunteering Maßnahmen unterstützen.
Nur so ist es uns möglich, dass wir unsere Plattform Privatpersonen und gemeinnützigen Organisationen (übrigens auch Sozialunternehmen, die kein “kleines g” in ihrer Rechtsform tragen) kostenfrei anbieten können. Dass wir durch ein stabiles Geschäftsmodell “selbst” unser Geld verdienen, anstatt auf Fördergelder zurückzugreifen, bringt einen ganz maßgeblichen Vorteil mit sich. Während viele Non-Profit Organisationen sich von Projekt- zu Projektförderung hangeln und nur schwer ein stabiles Kerngeschäft aufbauen können, schaffen wir uns über unsere Dienstleistung eine Strukturfinanzierung, die es möglich macht, dass wir langfristig an ein und derselben Sache arbeiten können. Eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Wirkung!
Für gesellschaftlichen Mehrwert muss es kein Geschäftsmodell geben – aber es hilft!
Natürlich glauben wir nicht, dass gesellschaftlicher Mehrwert nur erreicht werden kann, wenn dahinter ein Geschäftsmodell steht. Gerade in Deutschland haben wir eine lange gewachsene und wirkungsvolle Struktur an Vereinen, Non-Profit Organisationen und der Wohlfahrt, die seit Jahrzehnten Menschen hilft. Dennoch muss betont werden, dass auch in diesen Strukturen Geld eine Rolle spielt und durch einen Finanzierungsmix aus Fördergeldern, Spenden (und manchmal auch durch Einnahmen aus Dienstleistungen oder Produkten) hauptamtliche Mitarbeiter*innen finanziert werden und nicht alle Organisationsmitglieder rein ehrenamtlich arbeiten. Dieses Modell wird allerdings deutlich weniger kritisiert, als die Tatsache, dass Unternehmen mit sozialen Innovationen Geld verdienen.
Nicht fair, so finden wir. Denn neben der ökonomisch nachhaltigen Aufstellung vieler Sozialunternehmen ist auch das Ziel von Sozialunternehmen besonders, nämlich sich selber abzuschaffen. Denn Social Entrepreneurship soll nicht nur eine Symptombekämpfung sein, sondern auch die Ursachen der Probleme lösen. Genau durch dieses Denken entstehen viele tolle innovative Ideen und Geschäftsmodelle. Wie zum Beispiel diese 5 Sozialunternehmen zeigen, die wir besonders inspirierend finden:
5 Beispiele für erfolgreiches Social Entrepreneurship:
- Social Bee: Hilft Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren indem diese als Arbeitskräfte an Unternehmen vermittelt werden
- Ecosia: eine Suchmaschine, die für Suchanfragen Bäume pflanzt und ihr Geld hauptsächlich mit geschalteten Werbeanzeigen verdient.
- Soulbottles: Verkauft Trinkflaschen, von deren Verkauf je 1€ in WASH Projekte (water sanitation hygiene) fließt
- Greta & Stark, eine App, die allen ein barrierefreies Kinoerlebnis mit Audiodeskription und Untertiteln möglich macht. Zu den Kunden gehören Kinoverleiher*innen und Filmfestivals
- Discovering Hands, ein Unternehmen, das blinde und sehbehinderte Frauen zu medizinisch-taktilen Untersucherinnen ausbildet, die im Rahmen der Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt werden können und diese durch ihre besonderen Tastfähigkeiten nachhaltig verbessern. Private Krankenkassen und einige gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten der Behandlung.
Alle diese Unternehmen verzichten bewusst auf die “Gewinnmaximierung”, die Jan Böhmermann pauschalisierend den Social Start Ups vorwirft und entscheiden sich stattdessen dafür, unternehmerisches Denken und Handeln dafür zu nutzen, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Oft müssen sie sich dafür mit komplexen Geschäftsmodellen, Schwierigkeiten beim Finden der passenden Rechtsform und fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten herumschlagen. Und trotzdem liefern sie alle markttaugliche Dienstleistungen und Produkte, die sie sich eben auch bezahlen lassen, wie klassische Unternehmen. Nur lösen sie dabei auch gleichzeitig gesellschaftliche Herausforderungen.
Inzwischen gibt es also genug erfolgreiche Beispiel für Sozialunternehmen, die uns zeigen, dass Social Entrepreneurship nicht nur ein hipper Berliner Trend ist, der in ein paar Jahren wieder vergangen ist. Im Gegenteil, wir hoffen, dass es die neue Normalität wird, dass sich Unternehmen einen sozialen oder ökologischen Fokus setzen und gesellschaftliche Herausforderungen lösen, anstatt Neue zu schaffen. Eliza vom Unternehmen Einhorn hat in ihrem TedTalk “How to Scale Up Sustainability By Considering It as an Investment!” das spannende Gedankenexperiment aufgemacht, was wäre, wenn es das Ziel eines jeden Unternehmens wäre, nicht den “Shareholder Value” sondern den gesellschaftlichen Mehrwert an erster Stelle zu stellen.
Wir hoffen, dass es die neue Normalität wird, dass sich Unternehmen einen sozialen oder ökologischen Fokus setzen
Eines sollten wir allerdings bei allen Diskussionen um gesellschaftliche Mehrwerte trotzdem nicht vergessen – egal, ob ehrenamtlich, hauptamtlich, Social Entrepreneur*in, Wohlfahrt oder wohltätiger Verein, wir ziehen alle am gleichen Strang und wollen alle die Gesellschaft ein bisschen inklusiver, gerechter, engagierter und grüner gestalten. Und in unseren Augen geht das eben am Besten mit einer stabilen Finanzierung.
Es gibt also viele gute Argumente für soziales Unternehmertum und wir sind uns sicher, würden sich Kritiker*innen intensiv mit dem Thema auseinander setzen, wären vielleicht einige von ihnen schon bald gar nicht mehr so anti. Und Böhmermann würde vielleicht sogar auffallen, dass sein Tun und das der Sozialunternehmer*innen gar nicht so weit auseinander liegen. Auch Janni versucht schließlich gesellschaftliche Missstände zu ändern, nur halt mit Zynismus und Humor – trotzdem verdient er bestimmt auch die eine oder andere Mark dabei. Zum Glück, denn sonst wäre er sicherlich bald schon aus der Fernseh- und Medienwelt verschwunden und mit ihm sein Wirken für eine humorvolle(re) und offene(re) Gesellschaft.
Eine sehr gute Argumentation, höflich und gleichzeitig deutlich. Was hilft es, wenn die hauptsächliche Arbeitskraft von Menschen mit gesellschaftsförderlichem Engagement in Profit Unternehmen steckt und sie nur ’nebenher‘ ihren Impact bewirken können für ihre positiven Ziele? Können wir es uns leisten nicht die volle Leistung in die Lösung gesellschaftlicher Probleme zu stecken?
Das Geld wird bei Menschen oder Unternehmen erwirtschaftet, die es aufbringen können und eingesetzt für Verbesserungen an Stellen, an denen es benötigt wird. Eine sehr geschickte Art Geld in eine positive neue Verteilung zu bringen.
Danke für deinen Kommentar, Stephanie, das sehen wir genau so! 🙂
Vielen Dank für die sehr hilfreiche Darstellung, was ein Sozialunternehmen leistet – das ist viel Arbeit und kaum jemand kann es sich leisten ein solches Unternehmen ehrenamtlich aufzubauen- auch wenn viele von uns ihr Erspartes oder Geerbtes rein geben.
Einfach mal all die Hilfs- und Spendenorgas aufzählen: wie Oxfam, Ärzte ohne Grenzen, amnesty – sie alle haben eine Verwaltung und MitarbeiterInnen, die die Organisation des Ladens am laufen halten – das wird hauptsächlich sehr professionell von Menschen gemacht, dafür werden sie mit einem Einkommen entlohnt. So einfach sieht es aus – ansonsten würde da gar nichts mehr laufen!
Danke für deinen Kommentar – damit hast du in einem Absatz unsere zentrale Aussage zusammengefasst 🙂